Projekte - Pierrot Lunaire

Die 21 Bilder zu Pierrot Lunaire entstanden im Herbst 1998 auf Anregung des mit Dimitrov befreundeten Dirigenten Jeremij Hulin. Sein Ziel war eine gemeinsame multimediale Inszenierung: die Aufführung der Komposition von Arnold Schönberg für Kammerensemble und Singstimme, begleitet von einer großformatigen Präsentation der Bilder.

Bereits mehrfach hatte Dimitrov in seinem Bildern musikalische Vorlagen visualisiert. 1994 entstand der Bilderzyklus Faust nach der Symphonie von Franz Liszt, und 1997 malte er die Die Planeten, eine Serie von sieben großformatigen Bildern nach der Musik von Gustav Holst.

      

Immer deutlicher hatte sich in den neunziger Jahren die Hinwendung zum interdisziplinären Arbeiten zwischen und mit den verschiedenen Künsten als Charakteristikum im Schaffen Dimitrovs gezeigt; im kreativen Zusammenspiel zwischen Bild, Musik und Sprache fand er seinen eigenen künstlerischen Ansatz. Ein Weg, der sich für ihn geradezu anbot, denn sein malerischen Werk ist aufs engste verknüpft mit seiner Profession als Pianist.

        

Die Musik bestimmt die Bilder Dimitrovs in grundlegender Weise. Die Farbgebung und die Gestaltung der Flächen, das Zusammenspiel von Linien, Formen, Farben, Schichten summieren sich zu sublimen, verschlüsselten Kompositionen, in deren Rhythmus die Bewegung des Pinsels sich einordnet.

        

Alle Rezensenten stimmen in ihrem Urteil überein: Seine Malerei ist eminent musikalisch. Die Kunsthistorikerin Andrea Berger schrieb bereits 1996: "Das Komponieren einzelner Töne zu einem einzigen Klang ist der Untergrund, die geistige Struktur der Malerei Nikola Dimitrovs. Durch das Schichten der Farben übereinander entstehen Akkorde, die sich ablösen und sich durchströmen. Dieser Zusammenklang verbindet die Farbe, die Form, den Strich, die offene Fläche den Ort, die Schicht."

        

Unterschiedlichste Anregungen fließen in Dimitrovs Bilder ein. Inspirieren lässt er sich von Klangschöpfungen aller Art, von ihrer Emotionalität und Expressivität, aber auch von der Bildkraft lyrischer Texte. Die Umsetzung musikalischer Werke und ihrer Textvorlagen in Bildsequenzen ist Teil dieses intensiven Schöpfens aus der Welt der Klang- und Sprachbilder.

        

Dimitrov arbeitet und lebt so zwischen den Künsten. Aus der Synthese dieser Erfahrungen entwickelt er seine eigene Spielart multimedialer Kunst, die immer wieder beeinflusst und transformiert wird durch Projekte mit befreundeten Künstlern, in denen in den unterschiedlichsten Konstellationen und Ansätzen die tradierten Kunstgrenzen überschritten werden.

        

Schon als Konzertpianist ging er hier neue Wege. Gemeinsam mit Gernot Wirbel an Saxophon und Klarinette entstand Honiguferkante – Worte in Stein und Klang. Aus Fragmenten und Zitaten verschiedener Kompositionen formte das Duo kunstvolle Klangminiaturen, spielerisch inszeniert als Antwort und Konterpart zur Lyrik von Felicitas Frischmuth und Stein-Text-Skulpturen des Bildhauers Leo Kornbrust.

In einem anderen Wechselspiel dienten seine Planetenbilder dem Komponisten und Pianisten Bernd Mathias als Inspirationsquelle – Ausgangspunkt für die gemeinsame Licht-Klang-Performance Klangbilder – Bildklänge.

In seinem Zyklus Pierrot Lunaire kann Dimitrov all diese kreativen Schaffenstendenzen wieder zusammenführen, denn neben der musikalischen Schöpfung Schönbergs steht als eigenständige kunstvolle und bedeutungsträchtige Dimension die Lyrik von Giraud/Hartleben.

        

Arnold Schönberg traf für das Libretto seines Pierrot Lunaire eine durchaus interpretierende Auswahl aus den Gedichten Girauds. Aus der ursprünglich über weite Teile romantisch-verspielten Bildwelt des Pierrot mit ihrer stimmungsvollen Inszenierung nächtlich-verzauberten Erlebens greift Schönberg einzelne Gedichte heraus, die in ihrer nun geänderten Reihenfolge und ihrer verdichteten Metaphorik spürbar neue Stimmungsnuancen erhalten. Die Schönbergsche Komposition formt eine gedrängte, ins Dunkel-Groteske hinein spielende Textqualität, die den poetischen Zauber der Nacht verfärbt und überlagert.

Dimitrov, der sich im Rahmen seiner Arbeit als Musiker bereits intensiv mit den Werken Schönbergs beschäftigt hatte, fand im Pierrot Lunaire eine außerordentlich inspirierende Vorlage. Es war nicht nur das generelle Interesse des Künstlers an der Nacht, dem Reich des Traums, den Schattenseiten, dem Abgründigen und Geheimnisvollen; den Mond als eine zutiefst mit der menschlichen Psyche und Vorstellungskraft verbundenen kosmischen Realität hatte er zuvor bereits in einer Fülle von Bildern interpretiert, als er seine zahlreichen Sequenzen zu den Planeten schuf.

        

Sowohl die Gedichttexte mit ihren betörend schönen Sprachbildern als auch die Vertonung Schönbergs mit ihrer großen Klangvielfalt, dem Fehlen der ausgleichenden Harmonik und ihrer atonalen Expressivität ließ er eindringlich auf sich wirken. Emotional sehr berührt von den sinnlich-grotesken Stimmungen, die vom zartem Naturerleben bis zum abgründig Düsteren und Grauenerregenden reichen, malte Dimitrov die Bilder dann in rascher Folge, sehr spontan und ohne eine spätere Überarbeitung.

Er schuf eine subtile Inszenierung der nachtgeborenen Verwirrungen des mondtrunkenen Pierrot, der in melancholischer Zügellosigkeit in das Chaos eines Schattenreiches taucht. Eine traumdichte Szenerie, die beherrscht wird vom gespenstisch bleichen Licht des Mondes, bis mit der Wiederkehr der sonndendurchfluteten Heiterkeit des Tages die destruktive Kraft der morbiden Traumszenen gebrochen wird.

        

Neben den beiden großen Vorbildern gewinnt Pierrot Lunaire nun durch die Bildschöpfungen Dimitrovs eine weitere, die Phantasie beflügelnde Dimension.

        

        

Als Malgrund dienten Plastikfolien, Abfallmaterialien, die sich durch ihre Festigkeit und Elastizität für ein ungestümes, kraftvolles Arbeiten hervorragend eigneten. Auch das kleine, eigenwillige Format, das hier in Originalgröße reproduziert ist, unterstützte die kreativ-gefühlsbetonte Umsetzung, ebenso die Schwärze des Untergrundes, die das aufwendige Auftragen von farbigen Basisschichten überflüssig machte. Die beiden materialbedingten Löcher wurden bewusst in die Gestaltung einbezogen. Auch die wasserabweisende Glätte des Materials gewann ihre gestalterische Funktion, indem sie das weitgehend unplanbare Fließ- und Mischungsverhalten der Farben beeinflusste.

Gemalt sind die Bilder in Mischtechnik (Öl, Acryl, Tusche). Dimitrovs Verbildlichung arbeitet mit kräftigen Hell-Dunkel-Kontrasten, gemildert durch ein erdhaftes Rotbraun; sie spielt mit dem Weiß in all seinen Zwischentönen, mal bleierndicht, mal silberleicht, mal erstickend grünlich, mal mit schweflig gelbem Hauch.

      

Kennzeichnend für Dimitrovs Malerei ist eine individuelle Mischtechnik als dingliche Essenz der formalen und thematischen Verdichtung. Es ist eine lasierende Technik, die im Übereinanderfügen von Schichten und Farben farbliche wie räumliche Kompositionen von großer Zartheit und Transparenz, Leuchtkraft und hintergründiger Dichte entstehen lässt. Durch Auskratzen und Auseinanderfließen der Farbe wird ein Dahinter sichtbar, entsteht eine subtile Raumwirkung.

Stefanie Risch